Kritik am CRM Handbuch Reisemedizin
5 Seiten, 20 Krankheitsbilder & über 70 Fehler
Das ist das Ergebnis einer kurzen Sichtung von 5 aufeinander folgenden Seiten im CRM Handbuch Reisemedizin 2016.
Eigentlich waren es 7 angesehene Seiten, aber eine Seite war eine ganzseitige Werbung für ein "Malariamedikament" und auf einer weiteren Seite haben wir uns die Basisinformationen zur Malariaerkrankung angesehen.
Das Buch hat über 500 Seiten. Wir haben es willkürlich aufgeschlagen und waren am Anfang des Kapitels "Basisinformationen zu den Krankheitsbildern", wo wir dann angefangen haben zu lesen. Wir haben nach 4 Seiten aufgehört zu lesen.
Hier stimmte "nichts" und brachte bei uns die Frage auf, für wen ein solches Buch hilfreich sein möge.
Da das Thema Malaria in diesem Buch scheinbar überdimensioniert dargestellt wird, haben wir uns in diesem Kapitel aber dann doch noch einmal kurz die Basisinformationen zum Krankheitsbild Malaria angesehen.
Wir hatten es nach den zuvor angesehenen 4 Seiten nicht anders erwartet: "Auch hier fanden sich Fehler!".
Der Inhalt dieses bereits in 52. Auflage erschienenen Handbuchs spiegelt den Umfang der Wissensvermittlung wieder, den das Unternehmen Ärzten, Apothekern und Arzthelfer/innen verkauft. Das sind dann die Personen, von denen Sie eine reisemedizinische Beratung erhalten.
Bekannte medizinische Einrichtungen aus ganz Deutschland sind als Unterstützer oder Partner in diesem Buch angeführt, was die Frage aufwirft, ob in diesen Einrichtungen wirklich niemand über angemessenes Fachwissen verfügt. Denn wie sonst erklärt sich eine so hohe Dichte an Unwissen und Falschinformationen selbst bei fachlichen Basisinformationen?
Die Fehler
Wenn auf 4 Seiten (S. 438 - 441) 20 Krankheitsbilder mit Basisdaten vorgebracht werden, dann ist es zum einen recht befremdlich, wenn in JEDEM ein Fehler zu finden ist. Besonders aber wird es dann, wenn in nur 20 Krankheitsbildern ÜBER 70 Fehlinformationen zu finden sind.
Das ist eine gewaltige Leistung!
So viel Arbeit machen wir uns an dieser Stelle nicht, aber eine Auswahl der vorgefundenen Fehler möchten wir Ihnen an dieser Stelle nicht vorenthalten.
Bitte bedenken Sie dabei, dass es sich nur um eine Auswahl der über 70 Fehler auf den 4 aufeinanderfolgenden Seiten handelt!
"Krankheitsbild/Krankheitsbezeichnung" gem. CRM Handbuch: |
"Fehlerhafte/unvollständige Angaben" im CRM Handbuch: | Unsere Kritik: |
---|---|---|
"AIDS" | u.a. werden 2 verschiedene Inkubationszeiten und es wird eine "Labormeldepflicht" angeführt. | Es gibt nur eine Inkubationszeit (die zeitlich variabel sein kann) und es gibt eine "Meldepflicht für Labore". |
"Algenblüte/Algenpest" | es handelt sich um Algen (u.a. Blaualgen), von denen einige Toxine bilden können. | Blaualgen sind Bakterien (und keine Algen), welche Toxine bilden können. |
"Amöben, freilebende" |
Erreger: Naegleria und Acanthamoeba Therapie: Chemotherapie |
Mal von der unwissenschaftlichen Schreibweise abgesehen, fehlen Balamuthia spp. und Sappinia spp. und die Angabe "Chemotherapie" ist wenig fachlich. |
"Amöbiasis" | Erreger: Entamoeba histolytica mit Verbreitung in den Tropen und Subtropen. | Neben dem Genus Entamoeba fehlt der Genus Endolimax und die Erreger sind potentiell weltweit anzutreffen. |
"Angiostrongyoliasis" (eosinophile Meningoencephalitis) |
Erreger: Parastrongylus cantonensis und P. costaricensis |
Richtig heißt es "Angiostrongyliasis" und die Erreger heißen: Angiostrongylus cantonensis, A. malaysiensis, A. costaricensis, A. vasorum und auch Parastongylus cantonensis Der im Buch genannte Erreger P. costaricensis ist zudem NICHT Auslöser einer Eosinophilen Meningoencephalitis. |
"Argentinisches hämorrhagisches Fieber" | Das Junin Virus mit Verbreitungsgebiet in Argentinien. | Abgesehen davon, dass Viren vor Ländergrenzen keinen Respekt zeigen, gehört das Junin Virus zum nicht-taxonomischen Tacaribe-Komplex, welche die Südamerikanischen haemorrhagischen Fieber umfassen. Diese Arenaviren umfassen das Machupo (Bolivien), Guanarito (Venezuela), Sabiá (Brasilien) und weitere. |
"Badedermatitis" | Erreger sind "nicht-humanpathogene Larven von Bilharzia-Arten mit Verbreitung in Nordamerika und Mitteleuropa. | Mal abgesehen vom angeblichen "nicht-Humanpathogen", ist die Erregerklassifikation falsch. Es handelt sich dabei um Trematoden der Familie Schistosomatidae, welche eine Cercarien-Dermatitis, bis hin zu einer Schistosomiasis auslösen können. Bei den Verbreitungsgebieten fehlen weite Teile der Welt (u.a. Afrika, Arabien, Südamerika, und Süd-Ost Asien). |
"Bartonellose" Carriónsche Krankheit, Peruwarze |
Erreger: Bartonella bacilliformis | Mal abgesehen davon, dass der Eintragsname nicht-zutreffend ist, heisst der Erreger der Bartonellosis Bartonella henselae und die aktut verlaufende Carriónsche Krankheit, sowie die chronische Verlaufsform einer Peru-Warze sind eigenständige Krankheitsbilder. Die Erkrankung durch Bartonella quintana wird hier völlig verschwiegen. |
"Bilharziose" | Der Erkrankungsname ist "veraltet" und die durch Trematoden der Familie Schistosomatidae hervorgerufenen Erkrankungen werden als Schistosomiasis bezeichnet. | |
"Blastomykose" | Verbreitung in Nord- und Mittelamerika, Einzelfälle in Afrika, Asien. | Beim Verbreitungsgebiet wurde Zentraleuropa, Arabien und Indien vergessen. |
"Borreliose" | Erreger: Borrelia burgdorferi spp | Mal abgesehen davon, dass die Infektion in der Humanmedizin "Lyme Borreliose" genannt wird, ist die Taxonomie inkorrekt und unvollständig. |
"Cholera" |
Erreger: Vibrio cholerae, verschiedene Serotypen Inkubationszeit 3 - 6 Tage |
Hier fehlt die Abgrenzung zur Vibriosis, welche durch diverse Vibrio spp. ausgelöst wird. Die Inkubationszeit beträgt zudem Stunden bis 3 Tage. |
"Malaria" |
Übertragung: nachtaktive Stechmücken Leitsymptom: Fieber Meldepflicht: Arztmeldepflicht |
Die "nachtaktiven Mücken" sind auch in der Dämmerung und bei Bewölkung auch am Tage aktiv. Das Leitsymptom ist falsch und bei einer Malaria tropica gibt es gar keinen Fieberrhythmus. Der Begriff "Arztmeldepflicht" ist dumm gewählt. |
Die Fehler in der Praxis:
Betrachtet man alleine diese "kleine Auswahl" an Fehlern auf nur einer Hand voll Seiten, dann lassen schon die "vergessenen Verbreitungsgebiete" vermuten, dass die Länderinformationen unvollständig sind. Auch die Weglassung bedeutsamer Infektionskrankheiten wie z.B. die des Tacaribe-Komplexes, legen den Schluss nah, dass es in den Länderinformationen und bei den Kenntnissen zu bedeutsamen Erkrankungen erhebliche fachliche Defizite geben wird.
Wie erschreckend sich diese Fehler auch im medizinischen Alltag auswirken, möchten wir an zwei realen Beispielen aufzeigen:
Realität Amöbiasis
Vor ein paar Wochen kam eine Patientin aus Ecuador zurück und war mit Labornachweis einer Amöbiasis bei einem vom CRM weitergebildeten Arzt vorstellig. Der Labornachweis eines Befalls von Cysten des Parasiten Endolimax nana und die klassischen Symptome eines Durchfalls waren dem Arzt vorgebracht.
Aber anstatt die Patientin angemessen und entsprechend der Leitlinien zu behandeln, schickte er erst einmal eine neue Stuhlprobe ins Labor, um nach "Entamoebe histolytica" suchen zu lassen. Er schickte die Patientin ohne Medikation wieder nach Hause. Als der Befund aus dem Labor kam, welcher keine Entamoeba histolytica - Erreger nachweisen konnte (im CRM Handbuch gibt es nur Entamoeba histolytica als Erreger einer Amöbiasis!), wollte der Arzt auch keine medikamentöse Behandlung einleiten - obgleich der Durchfall immer noch zugegen war und der Erregernachweis Endolimax nana vorlag.
Auf einen kollegialen Hinweis zu Infektionen mit Endolimax nana an den Kollegen, den entsprechenden Behandlungsverfahren und Therapieoptionen, sah sich der Arzt genötigt, eine medikamentöse Therapie gegen die aktive Form (Trophozoiten) einzuleiten, aber er verweigerte der Patientin nachfolgend die Therapie gegen die Cysten (aus denen sich Trophozoiten bilden).
Das tat er mit Hinweis auf seine Fachweiterbildung beim CRM.
Realität Malaria
Auf einer Fortbildungsveranstaltung zum Thema "Migrationsmedizin" beschwerte sich eine beim CRM fachfortgebildete Ärztin u.a. darüber, dass wir vortrugen, Fieber kann nicht als Leitsymptom bei allen Malariaformen angeführt werden. Dies wurde von uns u.a. auch mit Verweisen auf Publikationen des RKI vorgebracht. Sie hingegen verwies auf das, was im hier kritisierten CRM Handbuch abgelegt war und ist.
Beispiel "Malaria"
So steht es im CRM Handbuch Reisemedizin:
Äthiologie:
Plasmodien (Einzeller)
P. falciparum (Malaria tropica)
P. vivax, P. ovale (Malaria tertiana)
P. malariae (Malaria quartana)
P. knowlesi
Verbreitung:
Tropen, Subtropen
Übertragung:
nachtaktive Stechmücken (Anophelen)
Inkubationszeit:
mindestens 7 Tage (Malaria tropica)
andere Formen länger
Leitsymptom:
Fieber
Diagnose:
Erregernachweis
Therapie:
diverse Malariamittel
Prophylaxe:
Schutz vor Stechmücken abends und nachts
evtl. vorbeugende Medikation
Meldepflicht:
In Sachsen Arztmeldepflicht bei Erkrankung und Tod
Labormeldepflicht bei direktem Erregernachweis
Das hingegen erwartet ein Arzt:
Erreger:
Plasmodium falciparum, P. vivax, P. ovale (Subtypen curtisi und walliken), P. knowlesi, P. malariae
Taxonomie:
Phylum Apicomplexa, Klasse Aconoidasida, Ordnung Haemosporida, Genus Plasmodium
Reservoir:
Mensch, Primaten
Vektor:
Mücken (Anopheles spp.; z.B. A. gambiae, A. funestus)
Übertragung:
Stich infizierter Mücke, Blutkontakt (Transfusion), transplazentar
Inkubationszeit:
etwa 6 - 120d (oft 10 - 17d), selten länger
Nachweis:
Mikroskopie (Dicker Tropfen, Ausstrich), Serologie, NAAT/PCR
Therapie:
First-line gem. WHO: ACT, Doxycyclin + Chinin. Bei P. vivax und P. ovale zusätzlich "radical cure" mit Primaquin
Weitere Optionen: Chinin + Doxycyclin/Clindamycin, Chloroquin, Sulfadoxin + Pyrimethamin (SP), Atovaquon + Proguanil, Mefloquin.
ICD-10:
B50.0 (P. falciparum, cerebral), B50.8 (P. falciparum), B51.0 (P. vivax, Milzruptur), B51.9 (P. vivax, mit Komplikationen), B52.8 (P. malariae, Nephropathie), B52.9 (P. malariae, sonstige Komplikationen), B53.0 (P. ovale), B53.1 (P. knowlesi), B54 (unspezifiziert)
MeSH:
D009288
Fazit
Wir haben das Werk an einem Samstagmittag zugestellt bekommen, die o.g. Seiten gesichtet und es dann mit weiteren (hier nicht publizierten) Kritikpunkten zwei Tage später zurück gesendet.
Eine Woche ist seither vergangen... und wir werden Sie hier weiter informieren.
1. Rückmeldung vom CRM

Am Freitag, dem 16.09.2016, lag folgendes Schreiben im Briefkasten >>
Auf die vorgebrachten Kritikpunkte wurde bisher nicht eingegangen.
Vielleicht, weil man fachlich nicht kompetent genug ist?
Mittlerweile wurden wir auch von Ihnen darauf aufmerksam gemacht, dass das Auswärtige Amt seit vielen Jahren mit dem CRM zusammen arbeitet (ITB). Wir haben daher im Auswärtigen Amt nachgefragt, ob dort das "Handbuch des CRM" auch in Nutzung ist. Ja, war die Antwort...
Seit 2001 ist auch den Medizinern im Auswärtigen Amt somit bislang nichts aufgefallen und sie haben seither und bis heute "CRM-kompetent beraten und agiert".
Haben Sie Erfahrungen (gerne auch positive!) mit reisemedizinischen Beratungen gemacht? Bitte melden Sie sich bei uns und lassen Sie uns an ihren Erfahrungen teilhaben.
(12.09.2016 - tho / letztes Update 17.09.2016)