Auf einmal geht's nicht weiter...
...ist doch nur Holland, oder?
Das Musikfestival Horizontoer 2016 war bereits in vollem Gange, als ich meine Anreise startete. Ziel war eine Flotte von Plattbodenschiffen im holländischen Wattenmeer - dem Unesco Weltnaturerbe.
Es sind nur wenige km von Hannover bis ans holländische Wattenmeer, aber es gibt unüberwindbare Hindernisse auf dem Weg dorthin, die man nicht missen möchte!
Manchmal haben Boote Vorfahrt, selbst wenn sie Autobahnen kreuzen.
Das ist für deutsche Autofahrer kaum nachvollziehbar, denn wer rollt der rollt und eine Autobahn wird sich doch nicht plötzlich erheben und ins All zeigen..... aber genau das passiert und passierte mir wenige km nachdem ich die Grenze DE/NL überquerte.
Mal von den plötzlich nicht mehr vorhandenen Leitplanken abgesehen und die Autobahnampeln akzeptiert, so ist das Fahren mit einer klar vorgegebenen Geschwindigkeit irgendwie entspannend. Man sieht sogar etwas von der Gegend, die so anders ist... Kühe auf einer großen und saftig grünen Weidefläche, Pferdeherden, Windmühlen, Grachten.
Strassen und Wasserstrassen verlaufen parallel.
Auf den letzten Km zum Fährhafen führt die Straße N910 von Augsbuurt nach Dokkum unmittelbar und nur durch eine kleine Grasnarbe getrennt entlang einer kleinen und idyllischen Wasserstrasse. Ohne mein Navi hätte ich gedacht, auf einem asphaltierten Feldweg entlang einer schmalen Gracht ins Nirgendwo zu fahren, stets auf der Hut, nicht ins Wasser abzurutschen.
Aber nein, das ist der richtige Weg und die Geschwindigkeitsbegrenzung von 60km/h ist durchaus akzeptabel. Mein Navi wollte mich auch nur ein Mal direkt ins Wasser lenken (Ok, das letzte Kartenupdate ist schon ein paar Jahre her).
Stopp in Dokkum

Am Ende der N910 traf ich auf die Stadt Dokkum, die sehr schön, gemütlich und - weil noch hinterm Deich - windarm ist.
So überschaubar diese Kleinstadt mit knapp 13.000 Einwohnern auch ist, so hat sie eine für uns Deutsche bedeutsame Geschichte.
Hier wurde der "Apostel der Deutschen" am 5. Juni im Jahr 754 erschlagen (Ja, dreistellig!, aber es kann auch das Jahr 755 gewesen sein).
Bonifazius und das Bier

Der Franzose wurde im Jahr 673 mit dem Namen Wynfreth geboren und lebte der Geschichtsschreibung zufolge über 80 Jahre - was zu der damaligen Zeit überaus sonderbar war. Wir haben heute, 1300 Jahre später. ein derartiges Lebensalter noch nicht als Standard etablieren können.
Aber egal!
Heute ist Dokkum ein Wallfahrtsort, welcher durch den Einsatz des friesischen Karmelitenpater Titus Brandsma 1926 wiederbelebt wurde. Er starb als Kritiker des deutschen Nationalsozialismus 1942 im Konzentrationslager Dachau.
Nahe der 1934 erbauten neo-romanischen Kapelle gibt es seither eine natürliche Süßwasserquelle. Dieses Trinkwasser war unentbehrlich für die Entwicklung der nördlichsten Hafenstadt der Niederlande und es ist noch heute die Grundzutat für die Bierbrauer der Stadt.
Der Ort Dokkum ist ideal für einen Besuch der unberührten Natur Hollands und dem Eintritt in das Leben der stets lachenden Holländer. Die Begegnungsstätte "Bonifatiuskapelle" sollte man sich unbedingt einmal ansehen. Drumherum werden sie das "Frysische Leben" live erleben.
Marrum - Tierliebe real gelebt...
Wer die holländische Sprache versteht, sollte unbedingt mal eine Tour durch die Salzwiesen des Deichvorlandes machen. Hier sieht man Herden von Kühen und Pferden inmitten einer grünen Graslandschaft, die ihren Zweck erfüllt. Es sieht alles so friedlich aus, doch wie hart die Natur hier sein kann, zeigte sich hier vor zehn Jahren.

Am 31. Oktober 2006 überraschte eine Sturmflut eine Herde von Pferden hier in Marrum.
Die Herde mit knapp 250 Pferden hatte jenseits des Deiches geweidet, als die Sturmflut in der Nacht die Wiesen überschwemmte und den Tieren den Rückweg versperrte.
Norma Miedema versuchte unmittelbar ihre eigenen Pferde zu retten und informierte die Behörden. Während die ersten Tiere panisch versuchten einen höheren Hügel zu erreichen, verletzten sich einige Tiere an Stacheldrahtzäunen und ertranken in den Flutwellen. Die damals 40-jährige Frau Miedema watete mit einem Bolzenschneider durch das eisige Wasser und kappte die wegversperrenden Stacheldrähte, so dass die Tiere die rettende Anhöhe erreichen konnten. Während der ersten zwei Tage kümmerte sie sich ganz alleine um die über 220 überlebten Tiere und versorgte sie mit Trinkwasser.
Am 3. November 2006 kamen 6 junge Reiterinnen mit ihren Pferden an den Unglücksort.
Es waren Susan Fransen auf Blizzard, Micky Nijboer auf Berber, Antje Dijkstra auf Humphrey, Hinke Lap auf Guinever, Christina Storm auf Perfeft und Fardow de Ruiter auf King.
Am Mittag war es so weit!
Durch Messungen der Wassertiefe nach dem Absinken des Wasserstandes, wurde ein günstiger Weg gefunden und mit Bändern zur Orientierung abgesteckt. Taucher hatten den Weg zuvor auf Zäune und andere Hindernisse abgesucht.
Dann ritten die jungen Frauen zur bereits völlig erschöpften Herde und nutzten ihre Tiere als "Locktiere". Der Trick funktionierte und die Bilder der Rettung sind beeindruckend:
Eines der geretteten Pferde lebt heute noch auf dem Hof von De Seedykster Toer und hier nahe des "Deichtempels" gibt es auch ein vom Künstler Machiel Braaksma im Jahr 2011 entworfenes Monument zum Gedenken an diese Rettungsaktion.
Terp Hegebeintum

Die Warft (holländisch "Terp") Hegebeintum ist ein seit dem Jahr 600 vor Christus bewohntes kleines Dorf, in dem heute noch etwa 60 Bewohner leben.
Es ist mit einer Höhe von 8,8m üNN die höchste Warft/Terp in Europa.
Hierhin sollte man sich unbedingt mal "verirren". Es gibt sogar ein Besucherzentrum mit wirklich lieben Menschen und ein Besuch der kleinen Kirche ist lohnenswert.
Der Besuch hier hat mich an meinen ersten Besuch im Komodo Nationalpark erinnert, nur gab es im Komodo Nationalpark "lediglich den Waran" als Besonderheit.
Hier in Hegebeintum gibt es eine beeindruckende Geschichte von sehr liebenswerten Menschen herzlich vermittelt.
Ich muss weiter!
Leider, denn es ist echt schön, ruhig, freundlich und "lekker" hier vor der Küste Frieslands.
(28.08.2016 - tho)